Katalin Sófalvi



Als kleines Mädchen, als ich zum ersten Male die erschütternd leidenschaftliche Antigone von Sophokles gelesen und dann in der Theateradaption gesehen habe, habe ich den Grund für Antigones Besessenheit nicht richtig verstanden. Ich begriff, dass es sich um ein tiefergehendes moralisches Problem handelt, nämlich, dass die Toten auf gebührende Weise zu bestatten seien -, es war mir aber nicht klar, warum daraus eine so große Sache gemacht werden müsse. Obwohl ich nichts verstand, die Wirkung auf mich war enorm. Mittlerweile bin ich erwachsen, ich habe dies und das über das Theater gelernt…



Katalin SófalviEs gab Zeiten, wo mich das Brecht'sche Theater, dann das Theater am Bauhaus und später das Theater des Surrealismus überwältigten. Jetzt bin ich gerade bei Moliere und der Commedia dell'Arte. Ich gebe zu, kein substantielles, fixiertes Weltbild über das Theater zu haben. Ich habe keine scharfen Distinktionen, es gibt kein gutes oder schlechtes Theater, nur niveauvolles und weniger niveauvolles. Mich interessiert der Prozess. Und die Wirkung. Meiner Meinung nach ist auch das Theater nur eine Sprache, eine Ausdrucksweise, so wie der Tanz oder die bildende Kunst. Ein Raum, der – wenn er gut ist – auf Schritt und Tritt überrascht, in dem man lachen und kreischen, sich verzaubern lassen und amüsieren kann.



Die Bezeichnung für die Kunst des traditionellen japanischen Holzschnitts ist ukyo-e, was so viel bedeutet wie Bilder der fließenden Welt. Es verbirgt sich dahinter die Vorstellung, dass jede Erscheinung vergänglich ist und nur im Bewusstsein des Betrachters einen Moment der Dauerhaftigkeit erfährt. Auch gutes Theater wird nur dadurch lebendig, dass es betrachtet und verinnerlicht wird. Was gleichzeitig auch bedeutet, dass jeder das Theater wählt, welches er liebt. Diese Freiheit ist der wahre Luxus des Theaters.